Neunter Tag auf dem Weg – ca. 24 km von Briallos nach Padron.
 

Tag 9 – die Nächte hier sind lang, viel länger als daheim. Man wacht ständig auf und hofft, dass der Wecker bald klingelt. Die Glieder brennen und pochen. Ich dehnte regelmäßig meine schmerzenden Beine wenn ich aufwachte, in der Hoffnung, dass es dann morgens besser sein wird.. Doch egal was man tut, man wacht mit steifen Gliedern und verspanntem Rücken auf. 

Doch diese Nacht kam noch eine Belastung dazu. Sonja und mein Zimmer war behindertengerecht im Erdgeschoss gelegen, doch wir hatten keinen Rolladen und die Straßenlaterne vor dem Fenster warf einen orangefarbenen Schimmer in das Zimmer und lange Schatten an die Zimmerwände. Außerdem konnte uns jeder der vorbei lief beim Schlafen beobachten. Sowohl Sonja als auch ich wachten immer wieder auf und schauten ängstlich zum Fenster, ob da jemand davor steht. Dabei erschraken wir mehr als einmal.

Es hatte die Nacht geregnet und draußen war es sehr feucht und schwül als wir um 5 Uhr los liefen. Der Anfang des Weges war wieder einmal hart für mich. Ich kämpfte mich die ersten 5 km vorwärts, jedoch war heute nicht mein Schienbein das Problem, sondern mein linker Fußknöchel fühlte sich an, als sei ich umgeknickt. Irgendwann gewöhnte sich der Fuß an die Belastung. Die anschließenden 5 km waren einfach nur anstrengend für die Füße und meine Rückenschmerzen veranlassten mich dazu, wieder eine Schmerztablette zu nehmen. Doch die Natur um uns war traumhaft. Ich fühlte mich wie in den Tropen, überall um uns wuchs Farn und es war alles grün und bewachsen.

Bei km 10 machten wir eine Frühstückspause und siehe da, wie ein paar mal die Tage davor auch, ich lief die letzten 14 km durch und die Leiden ließen sich aus meinem Kopf verbannen. Nur mein Knöchel tat weiter weh, zu Beginn nur beim Laufen bergab, irgendwann dauerhaft.

Dachte man vor vier Tagen noch: ach in fünf Stunden Laufen sind wir da, klangen mittlerweile bereits vier Stunden wie eine Ewigkeit.

Das schlimmste am heutigen Tag war, dass irgendwann der Regen einsetzte. Erst war das Nieseln angenehm auf der heißen Haut und kühlte angenehm. Doch aus dem Nieseln wurde ein ausgewachsener Regenschauer und irgendwann waren wir alle bis auf die Knochen durchnässt. Doch der Weg ging weiter unnachgiebig bergauf und bergab durch den Wald. Die unbeständige Oberfläche erschwerte das Laufen. Ich wusste nach einer Weile nicht mehr was Schweiß und was Regen war und als der Wind anfing stärker zu werden wurden besonders Sonja und mir bitter kalt.

Frierend, klitschnass und erschöpft trafen wir in der Albergue ein. Vor der Tür stand bereits eine kleine Schlange wartender Pilgerer. Leider sollte die Herberge erst in einer Stunde öffnen, also holten Jan und René zwei Runden Bier, welche unsere Gruppe vor verschlossener Tür trank und unsere Laune besserte. Als wir endlich einchecken konnten hatte sich eine kleine Pyramide aus Bierdosen auf dem Eingangsstein der Albergue gebildet.

Der Schlafsaal der Herberge war ein großer Raum im Obergeschoss in dem mehrere Reihen mit  je vier hölzerne Stockbetten aneinander standen. Die Betten wurden zugeteilt. Ich tauschte mein unten liegendes Bett mit Sonja, damit sie nicht ständig mit dem schmerzenden Knie nach oben klettern musste. So lag neben mir ein Spanier, in dem Bett mir gegenüber Jan und in dem Bett schräg von mir also neben Jan lag René. Wenn jemand in sein Bett kletterte wackelte das ganze Vierer-Konstrukt, doch es war bei weitem nicht so schlimm wie in der ein oder anderen Herberge davor. Die Holzbetten erwiesen sich als wesentlich stabiler und schon fast “luxuriös” im Vergleich zu den klapprigen Metallgestellen in den vorherigen Schlafstätten.  

Obwohl der Raum sehr hohe Decken hatte war die Luft stickig, alle Pilgerer drängten sich um die Heizkörper um ihre nasse Kleidung aufzuhängen und es roch unangenehm in dem großen Zimmer und alles war klamm.

Wir waren nach dem Duschen (ein kleiner Raum mit zwei wackeligen Duschköpfen, der nur durch einen dünnen Vorhang von einem Waschbecken und zwei WC-Kabinen getrennt lagen) noch in der Innenstadt etwas essen, in unserer notdürftigen Pilger-Freizeitkleidung (Mein Dresscode waren Leggins und Adiletten :D) saßen wir in einem chicen Lokal neben Hemdträgern die uns seltsam mustertet und teilweise den Kopf über uns schüttelten. Doch wir nahmen es mit Humor und genossen das beste Mittagessen seit Tagen. Der Regen hatte mir nicht gut getan und ich hatte mich leicht erkältet, also musste ich mir in der Apotheke erst einmal ein Nasenspray holen um wieder freier atmen zu können.

Nach dem Essen wollten wir uns alle erst einmal ausruhen.

Der altmodische Schlafraum mit groben Steinwänden war mit einer Holzdecke und einem laut knarrendem Holzboden ausgestattet. Es schlufen 44 Pilgerer in unserem Raum und so eine Rücksichtslosigkeit habe ich selten erlebt. Es wurde getrampelt, die Türen zugeschlagen, laut gelacht und geredet, obwohl mittags einige versuchten die Strapazen des Tages weg zu schlafen. So auch ich und meine Freunde. Elton John hatte mich bereits die ganze Reise begleitet und half mir auch dieses Mal die Geräuschkulisse weitgehend zu übertönen um etwas zur Ruhe zu kommen, doch sobald ein Geräusch lauter war schrak ich wieder aus meinem Mittagsschaf auf. 

Mich plagte mittlerweile immer wieder das Heimweh, ich vermisste meinen Freund, meine Familie und manche Freunde daheim und konnte die Ankunft von Domi und Amelie kaum erwarten, die morgen anreisen sollten, und mir so etwas Heimat nehmen würden.

Ich weiß gar nicht wie lange ich geschlafen habe, aber ich wachte wie schon gewohnt mit brennenden Beinen und Füßen auf auf und versuchte mir schlaftrunken die Beine weich zu massieren.

Sven hatte mir zwischenzeitlich geschrieben ob wir was trinken gehen wollen, also lief ich raus und traf mich mit ihm vor der Tür. Wir gingen zuerst hoch zu einer Kathedrale die über der Herberge lag. Dort konnten wir den Wind, die Stille und die Aussicht genießen.

Als sich Sonja und Jan zu und gesellten, machten wir uns gemeinsam auf den Weg in die Bar am Eck unten um noch ein paar Bierchen zu trinken.

Aus ein paar Bier wurden einige. Irgendwann lief wegen des Feiertages (Tag des Jakobus) ein Umzug vorbei, der schlussendlich nur aus vier oder fünf Musikantengruppen mit Dudelsäcken und co. bestand. Es war dennoch sehenswert und schön. 

So endete der letzte Abend auf dem Camino und während ich das s schreibe, sehe ich dem morgigen Ende mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen.

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